Mein frühstes und traumatischstes Kindheitserlebnis

Ich war viereinhalb Jahre alt, als mich meine Eltern ins Krankenhaus brachten wegen Diphterie-Verdachts. Das Ganze verstand ich natürlich nicht, nur dass meine Eltern auf einmal weg waren. Es war übrigens im Jahre 1953 kurz vor Weihnachten. Aber dass Weihnachten etwas Besonders war, auf das man sich eigentlich freuen konnte, wusste ich schon. Nur ich war ganz plötzlich ohne meine Eltern. Die Leitung des Pflegepersonals hatte damals meinen Eltern erzählt, es wäre nicht sinnvoll, wenn sie mich im Krankenhaus besuchen würden, denn die kleinen Kindern würden immer nur fürchterlich heulen, wenn die Eltern am Ende der Besuchszeit gehen müssten, Ohne Besuch wäre das eben dann nicht so schlimm. Und so autoritätsgläubig wie – vor allem mein Vater- damals war – richteten sie sich nach diesem Ratschlag.

So begannen die fürchterlichsten Tage meines Kleinkind-Lebens. Ich erinnere mich nur an wenig Einzelheiten. Das Personal war wohl bemüht mich zu trösten, aber verstanden habe ich gar nichts. Das Einzige, was ich bemerkte, war die Tatsache, andere Eltern besuchten ihre Kinder wohl, meine nicht. Ich fühlte mich völlig allein gelassen. Irgendjemand gab mir mal einen Adventskalender, aber ich weigerte mich, Türchen zu öffnen, in der Hoffnung, dann würde die Zeit nicht weiterlaufen und ich müsste nicht Weihnachten völlig allein an diesem fürchterlichen Ort verbringen. Ich war wohl ein schwieriges Kind in den Augen der Pflegerinnen, wie diese feststellten.

Die Tage vergingen trotzdem, der Diphterie-Verdacht erwies sich als unbegründet und ich kam noch vor Weihnachten nach Hause. Alles gut? Meine Mutter erzählte mir später, von diesem Zeitpunkt hätte ich mich total verändert, Vorher sei ich ein fröhliches, manchmal sogar etwas freches Kind gewesen, danach ein ängstliches und sehr introvertiertes. Die Jahre vergingen und scheinbar war alles dann alles verkraftet. Aber in Wirklichkeit hatte ich das alles wohl unterbewusst so verarbeitet, wer nicht brav ist, der wird halt irgendwo ausgesetzt. Und gegen unbewusste Ängste kommt man halt schwer an.

Erst Jahrzehnte später habe ich mit psychologischer Hilfe alles mehr oder weniger verstehen und wahrscheinlich auch verarbeiten können. Mir wurde auch klar, dass manche Entscheidungen und Verhaltensweisen, die ich später im Erwachsenen-Alter zeigte, wohl von Trennungs- und Verlust-Ängsten geprägt waren. Ich bilde mir heute -fast 70 Jahre später- ein, alles tatsächlich verstanden und verarbeitet zu haben.

Warum ich heute davon schreibe? Einmal wahrscheinlich, um es mir abschließend von der Seele zu schreiben. Zum anderen ist es die Bitte: Wenn Ihr Kinder habt und diese ins Krankenhaus müssen, denkt daran, dass sie dann Eure Liebe und Nähe ganz besonders brauchen.

2 Gedanken zu “Mein frühstes und traumatischstes Kindheitserlebnis

  1. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis 1970. Ich war zwei Jahre alt und litt seit Monaten an Mandelentzündungen, eine ging in die nächste über. Die Mandeln sollten entfernt werden. Ich kann mich noch erinnern, wie ich geschrien habe, als meine Eltern weggingen. Ansonsten habe ich kaum Erinnerungen an diesen Krankenhausaufenthalt. Meine Mutter erzählte immer, dass ich anschließend wochenlang nicht geschlafen habe.

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